"Die Wahrheit am und im Krankenbett. Aufklärung über das Sterben" 

5. Qualitätszirkel Palliativmedizin der Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung der Landesärztekammer Thüringen am 18.11.2015 im Bildungshaus St. Ursula in Erfurt.

Frau Dr. med. Christina Müller stimmte die Zuhörer auf dieses anspruchsvolle Thema ein, indem sie aus der Krankengeschichte des berühmten Dichters Theodor Storm zitierte. Storm wurde fast 71 Jahre alt und litt am Lebensende an Magenkrebs. Er berichtet über seine Empfindungen dieser Zeit sehr eindrucksvoll in dem Gedicht "Beginn des Endes":    

"...ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz, nur ein Gefühl, empfunden eben,

und dennoch spricht es stets darein, und dennoch stört es dich zu leben.

Wenn du es andern klagen willst, so kannst du`s nicht in Worte fassen,

du sagst dir selber - es ist nichts - und dennoch will es dich nicht lassen....

Dir wird die Welt so seltsam fremd und leis verlässt dich alles Hoffen -

bis du es endlich, endlich weißt, dass dich des Todes Pfeil getroffen."


Storm verlangte von seinem Arzt, die Wahrheit zu wissen, doch diese Klarheit stürzte ihn in eine tiefe Schwermut. Man beschloss daraufhin, den alten Dichter wohltätig zu belügen und vermittelte ihm die Illusion, "dass von Krebs keine Rede und alles ein Irrtum gewesen sei." Storm ließ sich sofort illusionieren, verlebte einen frohen Sommer und vollendete sein wohl berühmtestes Werk: "Der Schimmelreiter".

Der Frage: "Wieviel Wahrheit verträgt ein unheilbar Kranker?" widmete sich Professor Dr. theol. Ernst Engelke aus dem Juliusspital Würzburg in der folgenden Stunde. Als studierter Philosoph, Psychologe, Theologe und Pädagoge kann auf den reichen Erfahrungsschatz seiner langjährigen Arbeit als Klinikseelsorger und Begleiter von Sterbenskranken, deren Angehörigen und den Pflegenden zurückgreifen. An der Akademie für Palliativmedizin, -pflege und Hospizarbeit des Juliusspitals trainiert er seit 14 Jahren das schwierige Gespräch mit Ärzten und Pflegenden. Er vermittelt ihnen die Gewissheit, dass das Gespräch mit dem Sterbenskranken gelingen kann, wenn man bereit ist, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen und sich davon berühren zu lassen.

Die Fakten, die der Arzt in dieser Situation übermittelt, treffen auf persönliche Erfahrungen, Eigenschaften, Überzeugungen und Ahnungen des Patienten. Patienten ahnen, dass sie sterben werden, wollen davon aber zunächst nichts hören. Sie hoffen, dass alles nicht stimmt, suchen eine Zweit- oder Drittmeinung, begeben sich selbst auf die Suche nach alternativen Therapiemöglichkeiten. Dann begreifen sie, dass mit der eben erhaltenen Botschaft nichts mehr im Leben so weitergeht, wie bisher. Die Hoffnung, weiterzuleben bleibt und es stellt sich eine Angst ein, dass alles zu schnell zu Ende geht. Der so oft gesagte Satz: "Sie brauchen keine Angst zu haben!", ist hier vollkommen retundant. Wer wirklich groß im Herzen ist, gibt dem Patienten zu verstehen: "...ich weiß, dass sie jetzt Angst haben...", so Professor Engelke.

Eine gut vorbereitete und strukturierte Gesprächsführung, klar und einfach, ist wichtig. Professor Engelke trainiert mit seinen Schülern, den Zeitrahmen von 7 Minuten einzuhalten. In dieser Zeit können die wichtigsten Informationen empathisch übermittelt und dem Patienten eine Perspektive aufgezeigt werden. Ein Fülle von medizinischen Einzelheiten überfordert den Kranken in dieser Lage, die Nachricht über die von nun an begrenzte Lebenserwartung blockiert das weitere Zuhören in jedem Fall.

 

In der anschließenden Diskussion kamen die Zuhörer mit eigenen Erfahrungen zu Wort, u.a. unsere Schwester Kirsti Senff, Koordinatorin des ambulanten Hospiz- und Palliativberatungs-dienstes Arnstadt der Malteser. Sie sprach die Diskrepanz zwischen den Wünschen von Betroffenen und deren Angehörigen beim Umgang mit der Wahrheit und Klarheit am Krankenbett an. Für Herrn Professor Engelke sind die Angehörigen immer Co-Patienten und genauso verletzlich wie der Betroffene selbst. Alle brauchen Zeit und ehrliches Verstehen.

 

Herrn Professor Engelke gelang es, Wege zur gegenseitigen Unterstützung und Verständigung in dieser sehr schwierigen Lebenslage zu zeigen. Die neuen Erfahrungen können die Zuhörer dieser Veranstaltung im Studium seiner Bücher: "Sterbende begleiten" und "Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker" vertiefen.

 

Autorin: Dr. med. Marion Brocke